Blog zu unterschiedlichen, nicht nur musikalischen Themen. Von Sonja Korkeala (SK) und Mira Alexandra Schnoor
(MAS).
28.10.2017: Bagatellen - Sicilienne im Paradis-Konzert
19.05.2017: Bagatellen - Palermitanische Bilder-Galerie
18.05.2017: Bagatellen - Goethes Ankunft in Palermo
25.04.2017: Bagatellen - Schulhoffs Duo in Schloss Dachau
15.04.2017: Das Rosé-Quartett, porträtiert von Emil Stumpp
27.02.2017: Bagatellen - Mendelssohn Bartholdy in München (1)
25.02.2017: Erwin Schulhoff - Gefangener der Festung Wülzburg
01.12.2016: Bagatellen - Schönberg und Brahms
18.10.2016: Gespräch über "Um café com os poetas"
24.09.2016: Francesco Fournier Facio - Begegnung mit Pessoa
11.05.2016: "Goldfinch Blues" - zwei Werke von Stefan Johannes Hanke
11.05.2016: Alexander Muno - zwei Uraufführungen
23.04.2016: Erich Wolfgang Korngold und Arnold Rosé
29.03.2016: Ein Konzertsaal wird verabschiedet - vom Rosé-Quartett
28.03.2016: Brahms, Streichquintett op. 111 - Uraufführung mit Hindernissen
"Arnold Rosé ist nicht bloß ein Wiener Meistergeiger oder d e r Wiener Geiger kurzweg, er ist der erste Quartett-Spieler der Zeit." (Julius Korngold)
Arnold Rosé war eine elegante Erscheinung, ein soignierter Herr, der aussah, wie Thomas Mann in seinem Tagebuch im Dezember 1919 über den 56-Jährigen vermerkte, wie ein "Medizinalrat".
Aber dieser Eindruck konservativer Bürgerlichkeit war nur die eine Seite des Musikers Rosé. Die andere war die des mutigen Vermittlers der Musik der Moderne, der unerschüttert in wahren Konzertsaalschlachten neue Kompositionen, unter anderem von Arnold Schönberg aufführte.
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang stand Arnold Rosé im Zentrum des musikalischen Lebens in Wien. Rosés Name ist eng verknüpft mit den beiden bekanntesten Wiener Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts, mit Gustav Mahler und mit Arnold Schönberg.
Arnold Rosé wurde am 24. Oktober 1863 in Jassy (im heutigen Rumänien) als Arnold Josef Rosenblum geboren. Nach dem Umzug der Familie nach Wien erhielten Arnold und seine drei Brüder Instrumentalunterricht, der ältere Bruder Eduard wurde Cellist.
Arnold war ein so begabter Geiger, dass er bereits mit 17 Jahren als Solist Karl Goldmarks Violinkonzert mit den Wiener Philharmonikern aufführte. Kurz darauf wurde er zunächst Mitglied des Hofopernorchesters, und dann Soloviolinist und Konzertmeister der Wiener Philharmoniker. Er änderte seinen Namen und nannte sich fortan Rosé.
Rosé wurde zu einem der wichtigsten Musiker Wiens: er wurde zum Hofrat ernannt, stand den Wiener Philharmonikern vor, die ihn zum Ehrenmitglied wählten, war zwischen 1888 und 1896 Konzertmeisters bei den Bayreuther Festspielen und seit 1893 Professor am Konservatorium der Musikfreunde in Wien.
Bei den Bayreuther Festspielen soll er, einer Anekdote der Familie Rosé zufolge, Gustav Mahler beeindruckt haben. Als während der Aufführung der "Walküre" das Orchester unpräzise spielte, soll Rosé aufgestanden sein und es mit deutlichen Gesten zum Zusammenspiel zurückgebracht haben. Und Mahler, der Familienlegende nach, rief aus: "Voilà! Das ist ein Konzertmeister!" (Nach Newman, 20)
Zwischen Mahler und Rosé bestand eine Verbundenheit und Freundschaft, die weit über das Berufliche hinaus ging.
Zunächst heiratete 1898 Arnolds älterer Bruder Eduard Gustav Mahlers Schwester Emma. Am 9. und 10. März 1902 kam es dann zu einer großen Doppelhochzeit. Gustav Mahler, der zum Katholizismus konvertiert war, heiratete in der Wiener Karlskirche die junge Alma Schindler. Einen Tag später heiratete der zum Protestantismus konvertierte Arnold Rosé Mahlers Schwester Justine in der Lutherischen Stadtkirche in der Dorotheergasse.
1902 wurde dem Ehepaar Rosé der Sohn Alfred geboren, 1906 die Tochter Alma, benannt nach ihrer Tante, Gustav Mahlers Frau Alma.
1910 zog die Familie in den 19. Wiener Bezirk nach Döbling, in ein geräumiges Haus in der Pyrkergasse 23.
Hier lebten die Rosés bis zu Justines Tod 1938 und der Flucht von Alma und Arnold 1939 ins
Exil nach London.
"Der märchenhaft junge Konzertmeister wurde auch ein märchenhaft junger Quartettprimarius." (Julius Korngold)
Kaum zum Konzertmeister ernannt, gründete Arnold Rosé 1882 ein Streichquartett, das im Januar 1883 sein erstes Konzert gab. Neben Arnold Rosé, der in der langen Zeit, die das Quartett existierte, stets 1. Violine spielte, gehörte zur ersten Besetzung auch Arnolds älterer Bruder Eduard (Violoncello).
Schnell wurde das Rosé-Quartett zu einem der bekanntesten Streichquartette in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es bestand 54 Jahre, von 1882 bis 1936. Nach der Emigration Rosés nach London wurde das Quartett 1939 wiederbelebt. Das letzte Konzert des Rosé-Quartetts fand 1945 statt. Arnold Rosé hat somit eindrucksvolle 60 Jahre als Geiger und Primarius gewirkt.
Über das erste Konzert des Quartetts in Wien schrieb der Musikkritiker Julius Korngold:
"Am 22. Jänner 1883 trat die junge Rosé-Vereinigung im Bösendorfer-Saale an die Öffentlichkeit;
(Schon im ersten Konzert präsentierte Rosé eine Novität, ein Werk des Tschechen Zdenko Fibich)."
Das war ein Charakteristikum des Quartetts: Rosé und seine Mitspieler fühlten sich der klassischen Wiener Tradition verpflichtet, waren aber auch offen für unbekannte Werke und für die Komponisten der Moderne, die sich einer heute unvorstellbaren Häme und blanker Aggression zu erwehren hatten.
Besonders intensiv setzte sich Rosé für die Werke Arnold Schönbergs ein. In Wien kam es zu legendären Aufführungen, bei denen das Publikum in Tumulte ausbrach, während Rosé seelenruhig und mit großer Konzentration seine Mitspieler ins Ziel führte.
Der Aufruhr, den die Uraufführung seines zweiten Streichquartetts im Dezember 1908 im Bösendorfersaal in Wien auslöste, bezeichnete Schönberg später als den größten Skandal, den er je erlebt hatte.
Während des Konzerts begann eine Clique von Schönberggegnern, mit Gelächter, Zischen und Trampeln den Vortrag des Rosé-Quartetts und der Sopranistin Marie Gutheil-Schoder zu stören. Der Lärm wurde immer lauter, die Störer skandierten Parolen wie "Aufhören!", "Nicht weiterspielen". Aber das Rosé-Quartett ließ sich nicht davon abhalten und führte das Werk bis zum Ende auf.
Nachträglich zu Rosés 60. Geburtstag und seiner Ernennung zum Hofrat gratulierte Schönberg 1923 dann mit "wärmster Dankbarkeit für viele schöne Stunden", und mit der Hoffnung, dass es Rosé möglich sein möge, "noch viele Jahre so zu wirken, wie es uns bisher Freude bereitet und Achtung abgerungen hat".
(Das Zitat stammt aus der umfangreichen Datenbank des Arnold Schönberg Center Wien, in dem ein Großteil der über 20.000 Briefe von und an Schönberg als digitale Kopie zugänglich ist.)
Inwieweit das Engagement Rosés für Arnold Schönberg von Gustav Mahler beeinflusst war, ist schwer zu sagen. Mahler hielt sehr viel von Schönberg, auch wenn er, wie er sagte, dessen Musik nicht verstand. Aber seiner Frau Alma trug er noch auf dem Sterbebett auf, Schönberg zu unterstützen. Was Alma, wie man dem Briefwechsel zwischen ihr und Schönberg entnehmen kann, sehr engagiert und erfolgreich tat. Vielleicht gab Mahler seinem Schwager Rosé einen ähnlichen Auftrag.
E.T.A. Hoffmanns 1821 erschienene Erzählung "Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot" ist, wie es gleich im Vorwort heißt, "kein Buch für Leute, die alles gern ernst und wichtig nehmen."
Der Herausgeber bittet die Leser, "doch ja die Basis des Ganzen, nämlich Callots phantastisch karikierte Blätter, nicht aus dem Auge zu verlieren und auch daran zu denken, was der Musiker etwa von einem Capriccio verlangen mag."
Da legt der romantische Dichter und Komponist Hoffmann schon die richtige Spur zu einem multimedial bearbeiteten Motiv, das über den Maler und Graphiker Jacques Callot im frühen 17. Jahrhundert bis zum österreichischen Komponisten Egon Wellesz im frühen 20. Jahrhundert führt.
Ausgangspunkt von E.T.A. Hoffmanns Erzählung ist ein Zyklus von Radierungen, die der französische Maler Callot (1592-1635) in den 1620er Jahren schuf: die "Balli di Sfessania". Der Zyklus stellt Figuren aus dem Karneval dar, die tanzen, kämpfen, musizieren, die mal derb, mal höfisch posieren.
In dieser Atmosphäre, mitten im römischen Karneval, spielt auch Hoffmanns Erzählung. Und ebenso wenig wie man die maskierten Karnevals-Figuren erkennen kann, blickt man in Hoffmanns Text durch, denn es geht drunter und drüber.
Alles beginnt mit dem Schneidermädchen Giacinta und dem Schauspieler Giglio. Ihre Liebesgeschichte wird verknüpft mit phantastischen, märchenhaften Verwicklungen, in denen die mysteriöse äthiopische Prinzessin Brambilla und der ebenso rätselhafte assyrische Prinz Cornelio Chiapperi eine wichtige Rolle spielen. Nur - sind diese Figuren real, sind sie erträumt, und wenn, von wem? Von den Hauptfiguren Giacinta und Giglio, oder vom Erzähler, der sich ständig einmischt? Es ist kein Spiel mit doppeltem Boden, eher ein Gang durch ein Spiegelkabinett, bei dem man an jeder Biegung vielfach gespiegelte Figuren sieht. Sind es Doppelgänger, die man da sieht, ist man das selbst, aber in anderer, in verzerrter Gestalt?
Eines ist sicher:
Hankyeol Yoon wurde 1994 in Südkorea geboren. Mit 17 Jahren begann er an der Hochschule für Musik und Theather München ein Kompositionsstudium bei Prof. Isabel Mundry. Seit 2013 studiert er zusätzlich Klavier bei Prof. Yuka Imamine und seit 2014 Orchesterdirigieren bei Prof. Bruno Weil.
Hankyeol Yoon nahm erfolgreich an zahlreichen Kompositionswettbewerben teil. So war er 2014 Finalist beim Internationalen Kammermusikwettbewerb “Franz Schubert und die Musik der Moderne” in Graz und 2015 mit seinem Streichquartett "Klangfoto" im Finale des internationalen Kompositionswettbewerbs "Concours de Geneve 2015".
Mit seinem ersten Streichquartett "String Quartet (2011)" gewann Hankyeol Yoon den dritten Preis beim Günter Bialas-Kompositionswettbewerb für Kammermusik 2015. (Ein erster Preis wurde nicht vergeben.)
Hankyeol Yoon über sein "String Quartet (2011)":
"Das ist das allererste Stück, das ich in München, gleich nach Anfang meines Studiums, komponiert habe. Das ist jetzt fast fünf Jahre her, ich war damals 17
und jetzt bin ich 21. Meine Musik hat sich seitdem weiter entwickelt und geändert, aber auch in meiner jetzigen Musik bleibt immer noch das fundamentale Gefühl wie in dem ersten
Streichquartett.
Das Stück ist mir besonders wichtig, nicht nur, weil es die erste Komposition in München war, sondern auch, weil ich hier zum allerersten Mal konkretere Ideen und mein eigenes musikalisches Material, meine Kriterien usw. bereits vor dem Schreiben systematisiert habe.
Davor, als ich noch jünger war und noch nicht mit dem Studium angefangen hatte, habe ich beim Komponieren immer vor dem Klavier improvisiert und das, was ich bei diesem Improvisieren schön fand, einfach aufs Notenpapier geschrieben, die schönen Sachen entstanden quasi aus solchen Zufällen.
Meine Professorin legte mir dann eine neue Arbeitsweise ans Herz und schlug vor, dass ich ein Stück zunächst im Wesentlichen plane.
Mir waren seit langem, eigentlich schon immer, Harmonien und Akkorde wichtig, da ich finde, das sind die Elemente, die die Luft und Atmosphäre der Musik zu allererst bestimmen. Deshalb habe ich eine Reihe von 6 vierstimmigen Akkorden für dieses Quartett festgelegt, die erstens sehr linear gebunden sein und, nach meiner Meinung, ambivalent klingen sollen. Ambivalent in dem Sinn, dass sie weder als tonal/konsonant noch als atonal/dissonant betrachtet werden sollten. Das Quartett besteht ja durchaus aus dieser Harmonie. Das Tonmaterial steht, liegt und mischt sich so im Zickzack Sinne.
In meiner jetzigen Musik, fünf Jahre später, liegen ja noch mehrere Systeme und Gedanken neben- oder übereinander, aber harmonisch fühle ich mich immer noch in diesem Reiz der Ambivalenz sehr wohl. Deshalb ist mir dieses Quartett immer noch sehr wichtig."
(© Hankyeol Yoon/MAS)
NEWS: Die Uraufführung findet am Sonntag, 28. Oktober 2018, 11:00 Uhr im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München, Arcisstraße 12 statt. Es spielt das Quatuor Yako.
(SK) Ich schreibe meinen ersten Blog-Beitrag zu einem traurigen Thema. Am 23. November 2015 ist in Tampere nach längerer Krankheit der finnische Komponist Jouni Kaipainen gestorben, am Abend vor seinem 59. Geburtstag. Wir hatten das Glück, zwei seiner Werke beim Kimito Island Music Festival uraufführen zu können.
2010 brachten Wen Xiao Zheng (Viola) und mein Schwager und Festivalgründer Martti Rautio (Klavier) in der Kirche von Västanfjärd "Inno - für Viola und Klavier" zur Uraufführung
Ein Jahr später dann spielte ich mit Helena Juntunen (Sopran), dem Rodin-Quartett, Ulrich Wolff (Kontrabass) und Eveliina Kytömäki (Klavier) die Uraufführung von "Var det Edith?" Op. 95 (2011).
Eine tolle große Kammermusikbesetzung. Beide Stücke wurden vom Publikum begeistert aufgenommen. Jouni schrieb für alle Besetzungen, symphonische Werke ebenso wie Kammermusik.
Seine Stücke haben oft interessante, geheimnisvolle Titel, die die Hörer zum Nachdenken anregen.
Der finnische Komponist und Dirigent Esa-Pekka Salonen schrieb auf Twitter: "Finland has lost one of its best composers. It’s up
to us now to keep his legacy alive".
Jouni Kaipainen, 24.11.1956 (Helsinki) - 23.11.2015 (Tampere).
Artikel in der englischen Wikipedia mit Werkverzeichnis.
Der 1985 in Taiwan geborene Hsiu-Wei Hu begann mit 17 Jahren Kompositionsunterricht bei Prof. Yu-Chung Tseng. 2004 studierte er an der National Taiwan University of Art im Hauptfach Komposition bei Jin-Feng Yang und Dan-Hsiang Tang und im Nebenfach Klavier bei Ren-Jen Wang. Seit 2010 studiert er am Dr. Hoch's Konservatorium Komposition bei Claus Kühnl.
Werke (Auswahl): Ein Sommernachmittagstraum - für Klavier (2012) / Naraka - für Akkordeon, Altsaxofon (UA 2012/2013) / Sammeln - für Bariton, Klavier (UA 2013) / Trio für Klarinette in B, Bratsche, Klavier, nach dem Bild "Die Sünde" von Franz von Stuck (UA 2014) / Im Wald - für Cello (UA 2014) / Schwerttanz - für Flöten, Live-Elektronik (UA 2015)
Für sein Streichquartett "Gestalten" aus dem Jahr 2014 wurde Hsiu-Wei Hu mit dem zweiten Preis beim Günter Bialas-Kompositionswettbewerb für Kammermusik 2015 ausgezeichnet. (Ein erster Preis wurde nicht vergeben).
Zu seinem Stück sagt Hsiu-Wei Hu:
"Der Titel Gestalten bezeichnet hauptsächlich den Prozess der Schöpfung. Jedoch spielt auch der Gedanke der Figuren eine wichtige Rolle. Die im Stück zunächst punktuelle Komposition, wird dann in eine größere Klangfläche verwandelt, welche sich zum Ende jedoch wieder auflöst.
Das Stück beginnt in einem 5-taktigen Muster, dessen Densität und Intensität stetig bis kurz vor Hälfte des Stückes ansteigt. Mit einer geheimnisvollen Einstimmigkeit beginnt der Mittelteil. Der anschließende choralartige 4-stimmige Satz bietet einen stimmungsvollen Wandel. Am Ende des Mittelteils erklingt der letzte Atemzug der Einstimmigkeit, deren mystische Stimmung nun vom variierten 5-taktigen Muster aufgegriffen wird. Zum Schluss zerstreuen sich die Klänge des Stückes."
"Musik wurde seit der Antike der Arithmetik zugeordnet, deswegen habe ich für das Stück eine Primzahlreihe (2, 3, 5, 7, 11, 13) verwendet, die den Rhythmus der Harmonien und deren Töne bestimmt. Sowohl die Mathematik als auch die musikalische Vorstellung und das musikantische Gefühl spielen in diesem Stück eine wichtige Rolle."
(© Hsiu-Wei Hu / MAS)
NEWS: Die Uraufführung findet am Sonntag, 28. Oktober 2018, 11:00 Uhr im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München, Arcisstraße 12 statt. Es spielt das Quatuor Yako.
Arnold Schönberg am 9. Juni 1904 an Arnold Rosé:
"Hochverehrter Herr Concertmeister. Ich möchte Ihnen heute noch auf das Allerwärmste einen jungen, hochbegabten Componisten anempfehlen: Herr Dr. Carl Weigl, der sich erlauben wird, sich Ihnen vorzustellen. Derselbe hat ein Streichquartett von ganz außerordentlichen Qualitäten componiert, das er Ihnen gerne zur Aufführung überreichen möchte. Ich halte dasselbe sowohl der Erfindung nach, als auch der unglaublich ernsten und gediegenen Arbeit nach für eine entschieden starke Talentprobe und bin überzeugt, dass es auch Ihnen gefallen wird. Eine Aufführung würde sich sicher rechtfertigen und sehr lohnen. Dr. Weigl ist übrigens derzeit auch Correpetitor in der Hof-Oper, also Ihnen vielleicht von daher bekannt. Ich empfehle mich Ihnen auf das Beste mit vorzüglicher Hochachtung Arnold Schönberg." [Used by permission of Belmont Music Publishers, Los Angeles]
Der Komponistenkollege, den Schönberg so lobte, war der am 6. Februar 1881 in Wien geborene Karl Ignaz Weigl. Bereits mit 15 Jahren, noch als Schüler, erhielt der musikalisch begabte Weigl Kompositionsunterricht bei Alexander Zemlinsky.
Zemlinsky war nicht nur der Lehrer von Weigl, auch Arnold Schönberg hatte bei ihm Unterricht. Und Alma Schindler, die später nicht den in sie verliebten Zemlinsky, sondern den Hofoperndirektor Gustav Mahler heiratete. Wohingegen Schönberg sich mit Zemlinskys Schwester Mathilde vermählte. Und der Konzertmeister und Quartettprimarius Arnold Rosé heiratete Justine Mahler, eine Schwester von Gustav. Ebenso wie sein Bruder Eduard Rosé, der Emma Mahler heiratete, eine andere Schwester des großen Komponisten.
Auch Rudolf Stefan Hoffmann, später ein wichtiger Freund Weigls, hatte Privatstunden in Zemlinskys Wohnung in der Oberen Weißgerberstraße in Wien.
Vokalkompositionen waren eine große Leidenschaft von Karl Weigl. In seinen ersten Jahren komponierte er hauptsächlich für Singstimmen und erreichte bereits 1904 mit "Ein Stelldichein" für hohe Stimme und Streichsextett einen stilistischen Höhepunkt. Die Textgrundlage ist das gleichnamige Gedicht von Richard Dehmel (1863-1920) aus seiner Sammlung "Weib und Welt".
Seine besondere Affinität zu Vokalkompositionen zeigt sich in Weigls ausführlichem Werkverzeichnis. Es finden sich dort Lieder für Solostimme und Klavier, A-cappella-Kompositionen, Lieder für Stimme und Streichinstrumente, Chorwerke und Orchesterstücke mit Gesang.
Eine der bekanntesten und neben "Ein Stelldichein" am häufigsten aufgeführten Kompositionen sind die "Fünf Lieder für Sopran und Streichquartett op. 40". Komponiert 1934, wurde das Werk zum ersten Mal bei einem Privatkonzert im März 1937 aufgeführt. Die erste öffentliche Aufführung fand am 5. November 1937 im Brahms-Saal in Wien statt.
Es sang die international berühmte Sopranistin Elisabeth Schumann, der noch 1937 die Flucht erst nach England, dann in die USA gelang. (Elisabeth Schumann starb 1952 in New York.)
Das Rosé-Quartett spielte (nach den Angaben der Karl-Weigl-Foundation) in der Besetzung:
Arnold Rosé (Violine)
Anton Weiss (Violine). Er starb am 1. Dezember 1940 in Wien an den Folgen eines Schlaganfalls, den er nach der Vertreibung aus seiner Wiener Wohnung erlitten hatte.
Julius Stwertka (Viola). Er starb am 27. August 1942 gemeinsam mit seiner Frau in Theresienstadt.
Friedrich Buxbaum (Violoncello). Ihm gelang ebenso wie Arnold Rosé die Flucht nach England.
Alle Musiker waren Mitglieder der Wiener Philharmoniker.
Die Aufführung im November 1937 war ein großer Erfolg. Der Rezensent der Zeitung "Reichspost" schrieb am 9. November 1937:
"Kammersängerin Elisabeth Schumann, der diese Lieder zugeeignet sind, und das Rosé Quartett (die Herren Hofrat Rosé, Stvertka, Weiß und Buxbaum) erwiesen sich als vollendete Interpreten dieser vor allem auch im Instrumentalsatz hervorragenden Kompositionen und ernteten anhaltenden stürmischen Beifall." [Karl Weigl Foundation]
Das Interesse an der Musik Karl Weigls ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Es gibt inzwischen Aufnahmen vieler Lieder, Streichquartette, Symphonien, des Violin- und des Klavierkonzertes.
Zu verdanken ist das auch den Bemühungen der Karl Weigl Foundation, die ihren Sitz in San Rafael in Kalifornien hat.
Zwei Jahre nach Karl Weigls Tod schrieben Freunde und Unterstützer im März 1951 einen offenen Brief, um an den 70. Geburtstag des Komponisten zu erinnern. Zu den Unterstützern gehörten der Klavierpädagoge Bruno Eisner, der Dirigent Kurt Adler, der Pianist Mieczyslav Horszowski, der österreichische Komponist und Musikpädagoge Eric Zeisl und viele andere.
1967 wurde der Karl Weigl Memorial Fund am Mannes College of Music gegründet. Zu den künstlerischen Beratern gehörten neben vielen anderen bedeutenden Musikern der Dirigent Kurt Adler, der Violinist Raphael Bronstein, Cellist Pablo Casals, Benar Heifetz (der langjährige Cellist des Kollisch-Quartetts), der Pianist Mieczyslow Horszowski, die Pianistin Lili Kraus, der Violinist Yehudi Menuhin, Maria Weigl Piers, Alfred Rosé (der Sohn von Arnold Rosé), der Pianist und Musiktheoretiker Charles Rosen, Frederica Schmitz-Svevo (die Schwägerin des Dichters Italo Svevo), der Violinist Zvi Zeitlin.
Später kamen die Dirigenten Leopold Stokowski und Ainslee Cox hinzu.
Die Liste der beratenden Mitglieder liest sich wie ein Who’s who der musikalischen Welt.
1999 wurde die Karl Weigl Foundation gegründet. Präsident ist der Enkel von Karl Weigl, Karl C. Weigl. Direktorin die Musikwissenschaftlerin Julie Brand.
Ziel der Foundation ist es, das Erbe der exilierten Komponisten Karl Weigl und Vally Weigl zu erhalten und Aufführungen ihrer Werke zu unterstützen. Darüber hinaus liegt die Aufmerksamkeit der Foundation auch auf den Werken und Lebensläufen anderer Komponisten, die während der Nazizeit verfolgt, unterdrückt und vertrieben wurden.
Im Bestand des Archivs sind:
Partituren, Entwürfe, Aufführungsmaterial, Aufnahmen. Eine große Auswahl an biographischem Originalmaterial, Dokumente, Briefe, Photographien. Veröffentlichungen, Bücher, Broschüren, Zeitungsartikel, Konzertprogramme, Kritiken.
Eine außerordentlich umfangreich gestaltete Website bietet jedem die Möglichkeit, detaillierte Informationen zu Karl Weigl und seinen Werken zu erhalten.
Website: http://www.karlweigl.org
Johannes Brahms, der seit 1862 in Wien lebte, zog sich im Sommer zur Erholung nach Ischl zurück, um dort zu komponieren.
So auch im Sommer 1890, in dem ein spätes Meisterwerk entstand. Zunächst, so der Brahmsfreund und Biograph Max Kalbeck, war da ein Motiv.
Dieses Eingangsmotiv hätte, so Kalbeck, "im Zusammenhange mit der gewaltig aufbrausenden Art seiner Einführung das Allegro einer Symphonie" sein können.
Es wurde aber ein Streichquintett in G-Dur, das zweite, das Brahms schrieb, nach dem ersten in F-Dur op. 88 von 1882.
Dass dieses Motiv ordentliches Potential in sich trug, wurde bei den Proben zur Uraufführung durch das Rosé-Quartett deutlich.
Über einem Teppich, den die Streicher weben, schwingt sich das Cello mit einem eindrucksvollen Solo von der tiefen Lage des Instruments hinauf bis in extreme Höhen. "Drei Cellisten in einem", so Geiger Joseph Joachim, wären nötig, "um das Thema bei dem wogenden Forte der andern Instrumente (zwei Violinen und zwei Bratschen) herauszubringen. Überall, wo das Werk zur Aufführung kam, wurde daran herumgeredet und -experimentiert. Kein Cellist konnte dem sempre forte, das sich ihm in der Unterströmung des Satzes entgegenstemmte, Oberwasser abgewinnen."
Der Wiener »k.k. Hof- und Kammerklaviermacher« Ludwig Bösendorfer war eine wichtige Persönlichkeit des Wiener Musik- und Kulturlebens. Ebenso wie Brahms verbrachte er seine Sommerfrische in Ischl.
Der Brahms-Freund und Biograph Max Kalbeck beschreibt Bösendorfer als einen "bürgerlichen altwiener Elegant mit glänzendem schwarzen »Stößer« und erdfarbenem Sakkopaletot, der im eigenhändig gelenkten Viererzuge von Wien nach Ischl kutschierte und Visitkarten für lästige Schwätzer in der Tasche bereit hielt, mit der in Kupfer gestochenen Aufschrift: »L.B. ist zu seiner Erholung in Ischl.«"
1872 hatte Bösendorfer im Wiener Palais Liechtenstein in der Herrengasse einen Konzertsaal eingerichtet, der wegen seiner herausragenden Akustik zu den besten Spielstätten der Stadt zählte.
Als der Bösendorfer-Saal im Jahr 1913 abgerissen werden sollte, waren die Wiener Musikliebhaber zutiefst schockiert.
Immerhin waren in diesem traditionsreichen Saal Komponisten und Musiker wie Anton Rubinstein, Franz Liszt, Eugen d’Albert, Johannes Brahms, Ernst v. Dohnány, Max Reger, Arthur Rubinstein, Béla Bartók, Edvard Grieg, Gustav Mahler und Richard Strauss aufgetreten.
Das Abschiedskonzert bestritt das Rosé-Quartett, das diesem Saal eng verbunden war. Denn seit ihrem ersten Konzert 1883 waren Arnold Rosé und seine Mitspieler meistens im Bösendorfer-Saal aufgetreten.
Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) beschreibt in seiner autobiographischen Erinnerung "Die Welt von Gestern" dieses Konzert in Wien im Jahr 1913. Ein Jahr vor Beginn des 1. Weltkriegs erscheint sein Szenario als ein Sinnbild vom Ende einer Epoche.
"An sich war dieser kleine Konzertsaal, der ausschließlich der Kammermusik vorbehalten war, ein ganz unbedeutendes, unkünstlerisches Bauwerk (…). Aber er hatte die Resonanz einer alten Violine, er war den Liebhabern der Musik geheiligte Stätte, weil Chopin und Brahms, Liszt und Rubinstein darin konzertiert, weil viele der berühmten Quartette hier zum ersten Male erklungen. Und nun sollte er einem neuen Zweckbau weichen; es war unfassbar für uns, die hier unvergessliche Stunden erlebt. Als die letzten Takte Beethovens verklangen, vom Rosé-Quartett herrlicher als jemals gespielt, verließ keiner seinen Platz. Wir lärmten und applaudierten, einige Frauen schluchzten vor Erregung, niemand wollte es wahrhaben, dass es ein Abschied war. Man verlöschte im Saal die Lichter, um uns zu verjagen. Keiner von den vier- oder fünfhundert der Fanatiker wich von seinem Platz. Eine halbe Stunde, eine Stunde blieben wir, als ob wir es erzwingen könnten durch unsere Gegenwart, dass der alte geheiligte Raum gerettet würde."
(© MAS)
Literatur:
Max Kalbeck: Johannes Brahms (1921)
Stefan Zweig: Die Welt von gestern (1942)
Kennengelernt haben sie sich spätestens 1910, das Wunderkind und der Konzertmeister und Primarius.
Erich Wolfgang Korngold, geboren 1897 in Brünn, war nicht nur ein phänomenal begabter Pianist, er war auch, noch im Kindesalter, ein eigenständiger, kreativer Komponist. Als der Neunjährige Gustav Mahler eine eigene Komposition vorspielte, soll der ausgerufen haben: "Ein Genie!". Ähnlich beeindruckt war auch Richard Strauss.
1901 zog die Familie Korngold nach Wien und Julius Korngold wurde als Nachfolger von Eduard Hanslick Kritiker der "Neuen Freien Presse".
Der kleine Korngold trug schwer an der Last seines Namens, denn sein Vater war ein gefürchtete Musikkritiker. Gefürchtet, weil er rücksichtslos austeilen konnte. Und so mussten Erich und Julius immer damit rechnen, dass die Kritiker-Pfeile, die der Vater hinaus in die Musikwelt geschickt hatte, eines Tages zurückfliegen würden und den Sohn treffen könnten. Daher ließ Julius viele Werke des Sohnes nicht in Wien uraufführen, sondern in München, Hamburg oder Köln. Und wenn es eine Aufführung in Wien gab, war Julius so aufgeregt, dass er zu Hause bleiben musste.
Erich Wolfgang scheint recht robust gewesen zu sein, er hielt den dominanten, alles bestimmenden Vater aus und bewahrte sich viele Jahre lang seine Kindlichkeit und Fröhlichkeit. Nicht umsonst heißt eines seiner wichtigsten musikalischen Motive das des "fröhlichen Herzens".
Stefan Johannes Hanke wurde 1984 in Regensburg geboren. Er studierte Komposition bei Manfred Trojahn und Heinz Winbeck. Er war Stipendiat der Cité Internationale des Arts, Paris und der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf dem Musiktheater. Nach zwei Kammeropern und zwei Kinderopern, die regelmäßig von verschiedenen Theatern gespielt werden, arbeitet er derzeit an seiner ersten abendfüllenden Oper im Auftrag der Staatsoper Hannover. Weitere Auftraggeber und Interpreten waren u.a. der Deutsche Musikrat, das Haydn Orchester Bozen, die European Concert Hall Organisation (ECHO), die Münchner Symphoniker, das Asasello Quartett und das Ensemble Modern.
Im Konzert "Zeitgenössische Kammermusik im Dialog" werden zwei Werke Hankes aufgeführt.
"Goldfinch Blues" für Klaviertrio (2011)
»Das Klaviertrio war ein Auftrag des "Cardellino e.V." Essen, der sich nach dem Flötenkonzert von Vivaldi RV 428 benannt hat, und bei allen vergebenen Aufträgen vorschreibt, dass der Komponist "in hörbarer Weise" Material aus diesem Konzert verarbeitet. Da das Stück, abgesehen von der Vivaldi Passage kurz vor Ende, einen relativ ruppigen Gestus hat, die Spielanweisung lautet "rauh, dreckig", und vielen Abschnitten ein 6/8 Shuffle zu Grunde liegt, hat es den Namen "Goldfinch Blues" bekommen. «
(Stefan Johannes Hanke)
Mit: Sonja Korkeala, Violine / Clemens Weigel, Violoncello / Markus Bellheim, Klavier
Alexander Muno wurde am 21. November 1979 in Saarburg, Rheinland-Pfalz geboren.
Nach dem Abitur leistete er 1999/2000 Zivildienst an einer Schule für verhaltensauffällige Kinder, und studierte daneben bei Prof. Theo Brandmüller an der Hochschule für Musik Saar.
2000-2005 studierte er Komposition bei Prof. Heinz Winbeck an der Hochschule für Musik in Würzburg, wo er sein Diplom mit Auszeichnung ablegte und nach einem Meisterklassenstudium 2008 sein Meisterklassendiplom. Von 2003-2006 studierte er Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
Alexander Muno unterrichtet seit 2008 Komposition an der Internationalen Musikschule Berlin. Seine Werke erscheinen seit 2007 bei Verlag C. F. Peters, Frankfurt am Main.
Herbstmusik für Viola, Violoncello und Klavier (2012) - die Uraufführung wurde verschoben.
Mit Wen Xiao Zheng, Viola / Clemens Weigel, Violoncello / Markus Bellheim, Klavier
Alexander Muno:
»Die beiden Stücke, die am 31. Mai im Rahmen von Kammermusik im Dialog uraufgeführt werden, sind in einem Abstand von mehr als drei Jahren entstanden. Sie haben aber manche Gemeinsamkeit. Rein äußerlich betrachtet handelt es sich in beiden Fällen um Klaviertrios, in unterschiedlicher Besetzung. Formal stehen beide der romantischen Gattung des Albums nahe.
Der Komponist und Musiker Francesco Fournier Facio wurde 1996 in Rom geboren. Er studierte Komposition bei Fabio Vacchi, Riccardo Panfili, Jean-Jacquez Nattiez (Université de Montréal), Giorgio Battistelli (Accademia Chigiana di Siena) und Luca Lombardi. 2013 und 2014 studierte er Filmmusik bei Luis Bacalov an der Accademia Chigiana di Siena.
Francesco Fournier Facio ist Preisträger des Bialas-Förderpreises.
Di. 15.11.2016, 19.00 Bayerische Akademie der Schönen Künste München
Uraufführung des Auftragswerkes
"Um café com os poetas" für Streichquartett und Oboe
Mit: Heike Steinbrecher, Oboe / Rodin-Quartett
Peter Michael Hamel und Luca Lombardi
im Gespräch mit Francesco Fournier Facio
Francesco Fournier Facio im Oktober 2016:
"In meinen Werken, besonders in den Instrumentalstücken, möchte ich immer eine Geschichte erzählen. Das ist so, als würde man den Hörer bei der Hand nehmen und ihn zu dem Stück hinführen. Besonders bei zeitgenössischer Musik ist das sehr wichtig, denke ich, denn heutzutage ist die Gefahr sehr groß, in einem hermetischen Raum mit nur wenig Publikum zu bleiben.
Daher ist mein erstes Ziel, etwas zu schreiben, das jeden erreichen kann, egal ob gebildet oder nicht, erfahren mit dieser Art von Musik oder nicht.
Eine Geschichte zu erzählen, hilft in dieser Hinsicht sehr, denn wenn der Hörer sich erstmal orientieren kann, spielt der Stil, indem das Stück komponiert wurde, keine Rolle mehr, und so verliert zeitgenössische Musik die Anmutung von Kälte und Strenge, die leider viele Menschen mit ihr verbinden."
Wie haben die vier verschiedenen Dichter-Persönlichkeiten Deine Arbeit beeinflusst?
"Als ich damit begann, die Gedichte von Pessoa zu lesen, und auch die seiner Heteronyme, bemerkte ich, wie andersartig die unterschiedlichen Stile sind.
Ich bin nur ein Liebhaber von Lyrik, doch ich wollte die Gedichte darstellen nach dem Eindruck, den sie auf mich machten, ich wollte meiner Komposition keine formale oder stilistische Analyse der Gedichte zugrunde legen – es ging mir einzig um meine Empfindung, und das sollte nicht allzu akademisch gesehen werden.
Was mich am meisten verblüffte war, dass die drei Heteronyme, die ich ausgewählt habe, viel einförmiger sind, als die Stimme von Pessoa.
Das meine ich nicht herabsetzend, aber ich empfand den Stil viel uniformer und die Themen kehren immer wieder.
Sie sind auch viel klarer umrissen, insoweit, als die meisten Gedichte nicht sehr viele unterschiedliche Interpretationen zuzulassen scheinen.
Auf der anderen Seite ist die Lyrik, die Pessoa unter seinem eigenen Namen schrieb, viel dunkler und mystischer, und berührt eine große Vielfalt unterschiedlicher Themen. Jede Zeile seiner Gedichte könnte Ausgangspunkt einer Diskussion sein, und das mag ich am meisten daran.
Wie dem auch sei, ich habe erkannt, wie Elemente aus den Gedichten der drei Heteronyme oft in Pessoas Lyrik auftauchen, dort aber weiter entwickelt wurden, und das macht die große Vielfalt und Doppeldeutigkeit von Pessoas Lyrik aus."
Verbindungslinien
Sie sind sich nie begegnet, lebten aber ein Vierteljahrhundert in der gleichen Stadt.
Johannes Brahms zog 1872 endgültig nach Wien, wo Arnold Schönberg zwei Jahre später geboren wurde.
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In Wien wurden 1862 die beiden Klavierquartette op. 25 und op. 26 von Johannes Brahms uraufgeführt.
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Die Festung Wülzburg, gelegen auf etwa 634 m über dem Meeresspiegel auf einer der höchsten Bergkuppen im Mittelfränkischen, im Naturpark Altmühltal nahe der Stadt Weißenburg.
Eine große steinerne Anlage, ein Bollwerk gegen Angriffe. Gebaut, um den Menschen Schutz zu gewähren, als Zufluchtsort, wenn feindliche Heere die Dörfer und Städte belagern und verwüsten. Eine Stein gewordene Imagination von Sicherheit.
Eine Festung ist aber noch mehr, denn wo niemand hineinkommt, kommt auch niemand wieder raus. Somit ein ideales Gefängnis; das Wort Festung war lange Zeit gleichbedeutend mit Haft.
Vieles verbindet man mit diesem Wort: Schutz, Krieg, Gefängnis. Vor allem einen Ort, an dem Menschen gelitten haben, an dem sie kaserniert oder eingekerkert wurden, an dem sie gestorben sind.
Während des 1. Weltkriegs diente die Wülzburg als Kriegsgefangenenlager. Der berühmteste Häftling war der französische Hauptmann Charles de Gaulle, der spätere Präsident Frankreichs.
Im 2. Weltkrieg wurde die Wülzburg zum Internierungslager. Hier wurde der jüdische Komponist Erwin Schulhoff gefangen gehalten.
Schulhoffs Biografie ist durchzogen von den Brüchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war ein vielseitiger Komponist, der die Strömungen seiner Zeit aufnahm: Dada, Jazz, politisch engagierte Musik.
Geboren wurde Erwin Schulhoff 1894 in Prag. Schon früh erhielt der hochbegabte Junge Klavierunterricht. Bereits mit 14 Jahren wurde er Student an der Leipziger Musikhochschule, in den Fächern Klavier und Komposition. Ab 1910 trat er als Pianist auf. Nach dem 1. Weltkrieg, den er als Soldat mitmachte, zog er nach Dresden und kam hier in Kontakt mit den Dadaisten, mit Künstlern wie George Grosz und Otto Dix.
Schulhoff gelang als Komponist nie der ganz große Durchbruch, seine größten Erfolge hatte er als Pianist, vor allem als Interpret zeitgenössischer Musik.
Schulhoffs Versuche, sich als Komponist und Lehrer in Deutschland durchzusetzen, scheiterten. Daher kehrte er 1923 nach Prag zurück. Aber auch hier hatte er Schwierigkeiten, Arbeit zu finden. In den 1930er Jahren wurde das Leben für Schulhoff immer schwieriger. Depressionen, die Scheidung von seiner ersten Frau, Krankheiten und der fehlende Erfolg seiner Kompositionen setzten ihm zu. All das veränderte seine ästhetischen Positionen grundlegend.
"In München war ich ein Bier- und Käsevertilger"
"München, 6. October 1831.
Jeden Morgen habe ich zu schreiben, zu corrigiren, zu instrumentiren; so wird es 1 Uhr; da gehe ich nach der Kaufingergasse, in Scheidels Kaffehaus, wo ich alle Gesichter schon auswendig kenne, und die Leute jeden Tag in derselben Stellung finde: Zwei Schach spielend, Drei zusehend, Fünf Zeitung lesend, Sechs zu Mittag essend, und ich bin der Siebente.
Nach Tische kommt dann gewöhnlich Bärmann, holt mich ab, und wir machen Concert-Besorgungen miteinander, oder gehn spazieren zu einem Bier und Käse; dann geht es wieder nach Hause, und wird gearbeitet. Abends habe ich diesmal zwar durchaus alle Gesellschaften abgelehnt, habe aber doch so viel angenehme Häuser, wo ich uneingeladen hinkomme, daß ich selten bis nach Acht in meiner parterre-Stube Licht habe.
Ich wohne nämlich sehr ebener Erde, in einem Zimmer, das sonst ein Laden war, so daß ich mit einem Schritt mitten auf der Straße bin, wenn ich die Fensterladen vor der Glasthüre aufriegle. Wer gerade vorbeikommt, guckt in's Fenster herein, und sagt guten Morgen."
Vielleicht war es so:
Am Sonntag, dem 24. Oktober 1926 gastierte das Rosé-Quartett im Gebauhrsaal der Stadthalle in Königsberg. Bei seinen ausgedehnten Tourneen machte das Quartett einmal im Jahr Station in Königsberg.
Und eventuell saß an diesem Sonntag im Herbst der Zeichner Emil Stumpp im Publikum und porträtierte das Quartett. Auf dem Bild erkennt man Arnold Rosé, ungewöhnlicherweise rechts sitzend, ihm gegenüber den Cellisten Anton Walter. Friedrich Buxbaum war nicht in Königsberg dabei, er trat einen Tag später mit dem Buxbaum-Quartett in Wien auf.
Verbürgt ist ein Auftritt des Rosé-Quartetts eine Woche später in Innsbruck. Im "Tiroler Anzeiger" steht ein Hinweis auf das Konzert am 30. Oktober 1926.
Dieses Programm haben die Musiker vielleicht auch in Königsberg gespielt. Ohne die Tippfehler allerdings: Beethovens - mit nur zwei 'e' - Quartett op. 59 Nr. 1 ("Rasumowski").
(SK) Nach dem Konzert in Hammelburg im Februar 2017 konnte ich Erwin Schulhoffs wunderbares Duo für Violine und Violoncello am 19. April 2017 im Schloss Dachau spielen, bei dem Meisterkonzert des Europäischen Musikworkshops Altomünster. Gemeinsam mit dem Cellisten Guido Schiefen. In dem Konzert traten Dozenten und Studenten des Meisterkurses auf. In einer Kritik der Süddeutschen Zeitung heißt es:
»Hochkarätiges Konzert. Eine Offenbarung des Musizierens.« Von Adolf Karl Gottwald.
»Das zentrale Werk des Programms war ein Duo für Violine und Violoncello von Erwin Schulhoff. Auch dieses Werk findet sich sonst in keinem Konzertprogramm. Schulhoff gehört ohnehin der sogenannten "lost generation" zwischen den beiden Weltkriegen an, die sich von der musikalischen Spätromantik abwandte ohne sich der Atonalität zu nähern, und Schulhoffs Duo ist zudem ein besonders intimes Stück Kammermusik, das von den Ausführenden zwar hohe Virtuosität verlangt, aber letztlich im Zwiegespräch zwischen Violine und Violoncello ohne Seitenblicke auf unmittelbare Wirkung nach außen verbleibt. Sonja Korkeala und Guido Schiefen waren die idealen Interpreten für diese Musik, sie verstanden sich bestens bis ins kleinste Detail der Auffassung, ihr Zusammenspiel war unübertrefflich, ihr Dialog von Leben erfüllt. Von den drei großen Duos für Violine und Violoncello dieser Zeit - neben Schulhoff, die (bekannteren) Werke von Maurice Ravel und Zoltan Kodaly - ist Schulhoffs Duo das am meisten verinnerlichte und hatte schon deshalb seinen Platz in dem exquisiten Programm.«
Mitbringsel einer Konzertreise im Mai 2017 nach:
Zweieinhalb Wochen verbrachte Johann Wolfgang von Goethe auf seiner italienischen Reise in Palermo. Die ersten Eindrücke der sizilianischen Metropole schilderte er so:
Palermo, Montag, den 2. April 1787. Endlich gelangten wir mit Not und Anstrengung nachmittags um drei Uhr in den Hafen, wo uns ein höchst erfreulicher Anblick entgegentrat. Völlig hergestellt, wie ich war, empfand ich das größte Vergnügen. Die Stadt gegen Norden gekehrt, am Fuß hoher Berge liegend; über ihr, der Tageszeit gemäß, die Sonne herüberscheinend. Die klaren Schattenseiten aller Gebäude sahen uns an, vom Widerschein erleuchtet.